Die deutsche Sprache hat manchmal sehr hintergründige tiefe Weisheiten in ihren Ausdrücken. ‚Ich bin außer mir‘ ist eine von solchen Formulierungen. Meistens wird dieser Ausdruck im Augenblick großer Wut oder übermäßiger Emotion gebraucht. Doch ist das ‚außer sich sein‘ für die Stimme schädlich – und damit auch für den Menschen als ganzes. Viel besser ist es, auch in Extremsituationen ‚bei sich‘ oder ‚in sich‘ zu bleiben.
Ich möchte dieses Thema von der stimmtechnischen Seite betrachten, da wir dabei sehr viel über das Singen in extremen Lagen lernen können.
Bei einer normalen Atmung, ich nenne sie in der Folge ‚Ruheatmung‘ senkt sich bei der Einatmung das Zwerchfell, dehnt dabei den Brustkorb und die Luft wird eingesaugt. Danach entspannt sich das Zwerchfell nach oben, der Brustkorb verengt sich bei dieser Entspannung und wir atmen dadurch aus.
Diese Form der Atmung hat ungeheures Entspannungspotential und wird daher auch in vielen Entspannungstechniken angewendet. Sie zeichnet sich bei der Ausatmung durch eine ausströmende Energie aus, die aber für die stimmliche Tongebung gänzlich ungeeignet ist. Das kann man leicht ausprobieren indem man versucht, mit einer sich entspannenden Ausatmung ganz ohne zusätzliche Spannung, einen Ton zu erzeugen. Dieser Ton wird, wenn überhaupt einer entsteht, sehr schwach sein.
Für unsere Tongebung brauchen wir etwas gänzlich anderes, nämlich eine Ausatmung mit Spannung oder auch ‚gestützte Ausatmung‘.
Zische dazu ein ‚sssss‘, lege Deine Hände in Deine Lenden und spüre dort die Spannung die sich dabei aufbaut. Dieses ‚sssss‘ ist eine gestützte Atmung, mit der es ganz leicht ist, einen Ton zu erzeugen. Du brauchst nur das ‚ssssss‘ durch ein ‚aaa‘ zu ersetzen.
Aber nicht nur das. Wenn Du zum Beispiel mit einer Kerze vor dem Mund kontrollierst, wie sich die Luftstromverhältnisse ändern, wenn Du von der Ruheatmung zur gestützten Atmung wechselst, so kommt ein viellicht für Dich überraschendes Ergebnis.
Während die Kerze bei der Ruhe-Ausatmung stark flackert, bleibt sie beim gezischten ‚sssss‘ im Vergleich viel ruhiger. Weil bei der gestützten Ausatmung die Luft nur ganz langsam und kontrolliert abgegeben wird. Oder anders gesagt: Beim Stützen (und damit beim Singen oder Sprechen) geht die Energie einwärts. Und je energievoller die Tongebung ist (zum Beispiel bei hohem, lautem Singen oder lautem Schreien), desto mehr muss die Energie einwärts gehen und die Luft zurückgehalten werden, wenn der Klang gesund sein soll. Du kannst das auch mit der Kerze ausprobieren. Schreie die Flamme mit einem lauten, energievollen ‚Heeeey‘ an und sie wird kaum flackern. Du musst allerdings dabei ‚einwärts‘ denken. Oder anders gesagt, Du musst ‚bei Dir bleiben‘ oder ‚in Dir bleiben‘.
Es ist faszinierend zu sehen, wie hier Stimmtechnik und Psyche Hand in Hand gehen.
Wenn Du in großer Aufregung laut schreist, so ist das prinzipiell etwas Gutes, wenn Du dabei
‚in Dir bleibst‘ und zwerchfelltechnisch ‚einwärts‘ denkst. Denn dann ist erstens Dein Stimmklang gesund und kräftig und zweitens bleibst Du auch emotional ganz ‚bei Dir‘ und in Deiner inneren Kraft. Das gleiche gilt für energievolles (zum Beispiel hohes, lautes) Singen. Schon die alten italienischen Gesangslehrer lehrten das ‚einsaugende Singen‘, welches beim Singen des Tones das Bild des ‚Einsaugens‘ verwendet. In Wirklichkeit geht natürlich etwas Luft nach draußen, aber eben nur ganz wenig und kontrolliert.
Denke daran bei Deinem nächsten Singen oder Deinem nächsten Wutausbruch. Bleibe ‚bei Dir‘ – Deiner Psyche und Deiner Stimme zuliebe.
(Bildquelle: Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay )